Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur

Allein der Begriff Erinnerungskultur beinhaltet mehrere Deutungsebenen. Wer erinnert? Woran wird erinnert? Was ist eine deutsche Erinnerungskultur? Wie ist die Schnittmenge zwischen Erinnerungskultur und politischer Kultur?

Der Untertitel des gemeinsam von der Stiftung Ettersberg, der Bayerischen und Thüringischen Landeszentrale für politische Bildung veranstalteten Symposiums war bereits Programm: Eine Zwischenbilanz in vergleichender Perspektive. Zu dieser Zwischenbilanz waren eine große Anzahl an renommierten Professoren, Wissenschaftlern und Politikern angetreten. Der Spannungsbogen des Symposiums entstand durch die Auswahl der Referenten, die zum einen aus dem universitären Bereich und zum anderen aus dem politischen und pädagogischen Bereich kamen. Der wissenschaftlichen Aufarbeitung stand die praktische Umsetzung in Gedenkstätten, Museen und Denkmälern gegenüber und quasi als dritte Dimension die Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Politik. Wobei jedoch die vergleichende Perspektive ein wenig zu kurz kam.

Das war zum einen dem Ausfall von MdB Stephan Hilsberg geschuldet, dessen Vortragsthema "Friedliche Revolution und Transformation: Utopien, Erfahrungen und Einsichten" gewesen wäre. So war der gesamte 1. Tag zum großen Teil der Erinnerungskultur aus westdeutscher Sicht gewidmet. Den Anfang machte Prof. Dr. Horst Möller aus München, der das Kommunismusbild in der alten Bundesrepublik zwischen Kalten Krieg und Entspannungspolitik beleuchtete, gefolgt von Prof. Dr. Bernd Faulenbach, der an hand der beiden geschichts- und erinnerungsträchtigen Daten 17. Juni 1953 und 13. August 1961 den Versuch wagte, Phasen in der Wahrnehmung und der Reflexion dieser Ereignisse ebenfalls in der alten Bundesrepublik auszumachen.

Diesem einführenden Block über Phasen der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland, folgte ein Block über die Erinnerung an den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik und in der DDR, der - streng genommen - mit dem Thema der Veranstaltung nichts zu tun hatte. Es sei denn, die Veranstalter interpretierten die vergleichende Perspektive als Ansatz zur Analsyse der gesamten deutschen Erinnerungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl an den Nationalsozialismus als auch an den Kommunismus in der DDR, in der BRD und nach der Wiedervereinigung. So blieb dieser - trotzdem sehr interessante - Block ein wenig im Vagen stecken. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus in der DDR wurde im Vortrag von Prof. Dr. Günther Heydemann aus Leipzig auf den identitätsstiftenden antifaschistischen Gründungsmythos reduziert. Nach dem Vortrag kam die berechtigte Kritik, dass es neben dem Antifaschismus auch andere identitätsstiftende Merkmale gegeben habe, wie z.B. die Rolle der Kirchen und die Oppositionsbewegung. Prof. Dr. Volkhard Knigge leitete seinen Vortrag über die Umgestaltung der DDR-Gedenkstätten nach 1990 am Beispiel von Buchenwald mit den Worten ein, dass dieses Thema eigentlich nicht in den Block der Erinnerung an den Nationalsozialismus in der DDR und der BRD gehöre.

In den Diskussionen stellte sich heraus, dass nicht nur der Begriff des Kommunismus unterschiedlich interpretiert wird. Während - v.a. - westdeutsche Historiker damit problemlos die DDR bezeichnen, wie in den Referaten deutlich wurde, herrschte bei den anwesenden ostdeutschen Fachleuten und Bürgerrechtlern eine differenziertere Betrachtungsweise vor. Aus dem Publikum kam der Zwischenruf, dass die Gesellschaft der DDR ja wohl eine sozialistische und keine kommunistische Gesellschaft gewesen sei und sich selbst auch so gesehen habe. Von Ostdeutschen wird der Zeitraum, der Thema der Konferenz war, jedenfalls lieber nach der Person bezeichnet, die -zumindest in der deutschen Erinnerungskultur- für die Desavouierung der kommunistischen Idee verantwortlich ist: Stalin. Weiterhin wurde eine unterschiedliche Einschätzung des 9.November 1989 deutlich. Sprach ein westdeutscher Historiker von der Wende, wurde im Publikum laut gezischelt und Revolution gerufen.

Der zweite Tag der Konferenz war dann tatsächlich der Frage gewidmet, ob es eine gemeinsame Erinnerungskultur in Ost und West gäbe und wie Aufarbeitungsein-richtungen und Politik Einfluss darauf nehmen könnten. Die meisten Referate wirkten eher wie ein Apell an das Geleistete und eine Ermahnung, dies nicht kleinzureden. Sehr erhellend und unterhaltsam war der Vortrag von Dr. Ehrhard Neubert aus Berlin über westdeutsche und ostdeutsche Erinnerungsperzeptionen. Er stellte aus seiner therapeutischen Erfahrung heraus Idealtypen der Erinnerung in Ost und West vor. Für die ehemalige DDR skizzierte er den so genannten Typus des "Gezeichneten",  "Lebenslänglichen", "Wendigen" und "Wächters". In seiner Darstellung, die keine Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern trifft, geht es um den Versuch der persönlichen Vergangenheitskonstruktion. Während der "Gezeichnete" durch die Vergangenheit blockiert sei und aus ihr keine Lebensstrategie ableiten könne (vielleicht auch als Ewiggestriger zu bezeichnen), verbinde sich beim "Lebenslänglichen" in der Erinnerung immer die private mit der politischen Komponente. Als Beispiel diente der bekannte Tatort-Kommissar Peter Sodann, der trotz seiner Hafterfahrung in der DDR für die PDS kandidieren wollte. Der "Wendige" konstruiere sich seine Biografie flugs neu. Der "Wächter" wiederum betrachte seine Erinnerung und die Hütung dieser Erinnerung als Schicksal. Diese Rolle würde ihm häufig von außen aufgedrängt und es sei ihm bewusst, dass er sich damit auch unbeliebt mache. Es ist kaum notwendig, hier noch zu erwähnen, dass Bärbel Bohley als Beispiel herhalten musste. Diese - vom Publikum mit viel Gelächter aufgenommene - scharfsinnige Charakterisierung der Erinnerungstypen in Ostdeutschland, ergänzte Neubert durch die drei westdeutschen Typen des "Belästigten", des "Neidischen" und des "Mythologen". Zu den "Belästigten" zählt er diejenigen, die mit der Bundesrepublik im reinen waren, d.h. mit der Erinnerungskultur und mit den sozialpolitischen Errungenschaften zufrieden und für die die DDR kein Bestandteil mehr war und die daher den Mauerfall und die damit verbundenen Veränderungen als störend empfänden. Der "Neidische" dagegen musste sich in der eingespielten Administration der Bundesrepublik gegebenenfalls hochdienen oder Glück haben und spürte Erlebnisneid und Faszination (keine Bewunderung!) für die Entwicklung im Osten. Diese Kategorie ist sicherlich die schwächste der von Neubert aufgestellten. Der mythologische Typus neige durch eigene fehlende Basiserfarung des politischen Wandels zu einer Überhöhung der Politik, meist in einer Person, wie z.B. von Michail Gorbatschow.

Im Vortrag von Neubert und auch im folgenden Referat von Joachim Gauck aus Berlin wurde deutlich, dass sich Ostdeutsche eine höhere Wertschätzung ihrer aktiven Rolle bei der Revolution von 1989 wünschen. Leicht deplatziert wirkte der Noch-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke mit seinem Plädoyer für ein "Denkmal für die Einheit in Freiheit", mit dem er sicher in dieser Runde niemanden überzeugen musste. So wirkte sein Vortrag eher wie zur Überzeugung von politischen Gegnern als wie ein Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur noch dazu in vergleichender Perspektive.

Wenig Zeit war den Kommentaren aus osteuropäischer Sicht eingeräumt. Zusätzlich fiel einer der vorgesehenen Referenten aus, so dass Prof. Maria Schmidt aus Budapest und Dr. Irina Scherbakowa aus Moskau ein kurzes Resumee gaben. Die Leiterin des Budapester Terrormuseums Schmidt, die bekannt für ihre provokanten Aussagen ist, glänzte mit Anwürfen gegen die deutsche geistige Elite. Sie verurteilte den "Export" der deutschen Aufarbeitungsmethode, deren Zentrum Ausschwitz sei und betonte, dass kleinere Länder wie Ungarn mehr unter den Kommunisten als unter den Nazis gelitten hätten. Bei der friedlichen Revolution in Deutschland sei verpasst worden, sie als Lösungsansatz für die offene deutsche Frage zu benutzen und sie wurde und würde bis heute lediglich als ökonomisches Problem empfunden. Damit erntete sie heftigen Widerspruch unter dem Hinweis, dass sie die erste auf diesem Kongress sei, die ein ökonomisches Thema anschneide. Scherbakowa führte aus, dass die Diskussionen über den Gulag und die Aufarbeitung ein rein akademisches Thema seien und in der (russischen) Bevölkerung nicht widergespiegelt würden. Sie warnte vor der Sackgasse, in die die andauernde Diskussion darüber, ob Stalin oder Hitler der größere Verbrecher sei, führte.

Auch im Abschlusspodium ging noch mal ein Riss durch die Teilnehmer, der in der Kompromisslosigkeit, mit der bestimmte Thesen vertreten wurden, den Aufarbeitungsabstand zwischen Ost- und Westdeutschen wesentlich besser zeigte, als alles vorher Gesagte. Leider - und das gilt für viele mehrtägige Konferenzen - waren viele der eigentlichen Experten bereits abwesend.

Besonders Arnold Vaatz (Berliner CDU-Kandidat) tat einen Rundumschlag gegen die westdeutsche Definitionsmacht der Vergangenheit, begonnen beim Besitz der Kommunikationsmedien und endend in Museen und Institutionen. Die anhaltende Gleichschaltung im Westen durch die 68er sei seiner Meinung nach größer als es jene im Osten durch die Staatssicherheit je gewesen sei. Markus Meckel (SPD-Kandidat) beklagte, dass die Zeit der demokratischen DDR (zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung) nicht wahrgenommen werde. Das Datum des 9.11. werde von westdeutschen Politikern missbraucht, da es eigentlich der Beginn für ostdeutsche und osteuropäische Freiheitsbewegungen und damit auch der Erinnerungskultur sein müsse.

Der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe erinnerte daran, dass die Opfer bei dieser Art der akademischen Diskussion immer vergessen werden. Anschließend griff er die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Marianne Birthler an und forderte, dass ihr Aufarbeitungsbudget den Opfern zu Gute kommen sollte. Ein positiveres Fazit wurde von Birthler selber gezogen, die unter Hinweis auf die internationale Debatte betonte, dass die Aufarbeitung in Deutschland gar nicht so schlecht dastehe. Sie warnte vor der "ostdeutschen Migräne", die nicht auch noch die Aufarbeiter befallen solle. Sehr bildhaft brachte sie folgendes afrikanisches Sprichwort: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.