Wo gehts denn hier zum GULag?

War keine "Goldene Hausnummer" im Fundus?

Zur Ausstellung "Parteidiktatur und Alltag in der DDR" im Deutschen Historischen Museum

Ebenso unterschiedlich wie die Eintragungen im Gästebuch der Ausstellung sind die feuilletonistischen Bewertungen ausgefallen. Während die einen die Zurückhaltung der Ausstellungsmacher und einen sensiblen Umgang mit dem Privatleben der DDR-Bürger loben einschließlich einer detailgetreuen und nachvollziebaren Darstellung des Alltags, fehlt den anderen die Grausamkeit des Systems, Gründe für die Flucht vieler Bürger und die Auflösung der DDR. Reflexartig wird die fehlende Opferperspektive angeprangert und eine falsche Erwartungshaltung an den Tag gelegt. So fragt denn auch ein Besucher im Gästebuch, warum denn Informationen über den GULag fehlten.

Aber worum geht es den Ausstellungsmachern?

Im Flyer zur Ausstellung werden eine Reihe ambitionierter Fragestellungen aufgeworfen: Wie gelang es den Bürgerinnen und Bürgern in der DDR, ihren Alltag zu bewältigen? Wie entzogen sie sich den Zumutungen der Diktatur und ihrer Ideologie? In welchen Lebensbereichen waren sie, wenn auch widerwillig, loyal? Mit diesen Fragen greift das Team von Regine Falkenberg, Carola Jüllig, Ralph Gleis und Jörn Schütrumpf direkt die Empfehlungen der Sabrow-Kommision zu einer Änderung der DDR-Forschung auf. Zur Erinnerung: Im Jahr 2006 veröffentlichte die, noch von rot-grün eingesetzte, Kommission ihre Ergebnisse und Empfehlungen zur Straffung und Zentralisierung der Forschung und der Erinnerungslandschaft, die bereits vor Veröffentlichung durch Distanzierung des Kommissionsmitgliedes Freya Klier und Angriffe der mittlerweile regierenden CDU unter Federführung von Staatssekretär Bernd Neumann fast zu einem Eklat gerieten. Eine der zentralen Forderungen der Kommission bestand in einem Wechsel der Perspektive von MfS- und Opferdarstellungen hin zur stärkeren Erforschung des Alltags in der DDR und der Durchdringung des Privaten durch die Diktatur. Diese, aus wissenschaftlicher Sicht, sehr nachvollziehbare Forderung, wurde sofort als Verharmlosung der Diktatur und als Hohn für die Opfer diskreditiert. (siehe Bericht über die öffentliche Anhörung im Bundestag).

Die Ausstellungsmacher greifen nun diese Forderung auf und es ist sicherlich kein Zufall, dass die Ausstellung ausgerechnet in den Räumen eines der führenden Museen in diesem Bereich durchgeführt wird. Bereits in den Auseinandersetzungen um die Dauerausstellung zur deutsch-deutschen Geschichte hat sich gezeigt, dass das DHM auf diesem Gebiet eine Deutungshoheit beansprucht.

Die Zeit für diese Ausstellung war also reif. Allerdings deuten die zitierten Fragen bereits das Problem an. Wie will man im Spanungsfeld zwischen Diktatur und Alltag darstellen, dass sich jemand widerwillig loyal verhielt oder dass sich den Zumutungen der Diktatur entzogen wurde? Steckt hier nicht die einzig mögliche Antwort schon in der Frage? Es wird vorausgesetzt, dass die Diktatur schlecht war, als solche empfunden wurde und man sich ihr entziehen musste. Alle emanzipatorischen Ansätze - so umstritten sie sind - die eine Identifizierung des DDR-Bürgers mit seinem Staat ermöglichten, die über bloße Anpassungsstrategien hinausgehen, werden so von vornherein ausgeblendet. Damit soll die DDR nicht schön geredet werden. Aber wenn den bisherigen Darstellungen vorgeworfen wird, dass sie die DDR-Realität nicht widerspiegelten, dann eben vor allem, weil dieser ideologisch eingefärbte Blick besteht. Obwohl diese Perspektive bereits einen kleinen Fortschritt zur reinen Opferperspektive darstellt.

Auf zwei Ebenen versucht die Ausstellung an hand einer Fülle von Objekten den Arbeitsalltag und den privaten Bereich darzustellen. In so genannten Themeninseln werden weitere Bereiche wie Grenze, Verbündete und Kollektiv, um nur einige zu nennen, ergänzt., die "einerseits Staat und Diktatur, andererseits Strukturen des Alltags behandeln" und so die versuchte Durchdringung des Alltags durch die Partei enthüllen sollen. Auch hier ist das Ergebnis dem Besucher bereits vorweggenommen: die Ausstellung soll nehmlich letztendlich zeigen, dass dieser Versuch misslang.

Am überzeugendsten ist die Darstellung der Durchdringung des Alltags mit parteipolitischer Organisation durch die Objekte im Betriebs-, Schul- und Ausbildungsbereich. Sicherlich kommt man nicht ohne eine Darstellung der Militarisierung aus, doch weckt das Maschinengewehr, das gleich am Eingang zum "Privaten" ausgestellt wird, die Assoziation, dass in der DDR us-amerikanische Verhältnisse herrschten. Zumindestens befremdlich wirkt eine Ausstellung an Kopfbedeckungen von Persönlichkeiten der DDR-Nomenklatura im Eingangsbereich, dem so genannten Arbeitsbereich. Die Wollmütze von Walter Ulbricht mag ja noch als Gag durchgehen, was jedoch die Schirmmütze von Ernst Thälmann mit dem Zweck dieser Ausstellung zu tun haben soll, bleibt unergründlich. Auch an anderen Stellen der Schau schien die Objekteauswahl eher willkürlich, so dass sich der Eindruck aufdrängte, dass hier mal - im Einzelnen durchaus interessante - Objekte, die seit Jahren im Fundus schmoren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Ärgerlich und völlig aus dem Kontext gerissen war die Zurschaustellung von verschiedenen Regierungsgeschenken, wie z.B. Brocken von albanischem Chromerz neben einer Hirtenflasche aus Rumänien. Wer denkt denn tatsächlich, dass Regierungsgeschenke zwischen demokratischen Ländern geschmackvoller sind und was haben sie mit dem Alltag der Bevölkerung zu tun?

Getreu den Fragestellungen der Ausstellung wurden im Eingangsbereich alle Organisationsbestrebungen im Arbeitsbereich, wie dem Wettbewerb um das sozialistische Kollektiv und die Einführung eines Brigade-Tagebuches als Versuche der Parteiführung gewertet, den Arbeiter politisch zu entmündigen. Das ist nicht nur tendenziös, sondern schlicht falsch. Bezeichnenderweise war im ausgestellten Brigade-Tagebuch ein Beitrag mit dem Titel "vom Ich zum Wir" aufgeschlagen. Hier hätten die Ausstellungsmacher in Ruhe lesen können, dass diese Versuche dazu bestimmt waren, von persönlich geleitetem Interesse hin zu einem gesamt-gesellschaftlichen Engangement zu kommen.  Was das Gegenteil von politischer Entmündigung ist. Gerade dieser Versuch der Einbeziehung ist ja gescheitert. Auch die Darstellung der werktätigen Frau in der DDR fällt unter dieses Entmündigungsmuster. Dabei zeigt gerade die aktuelle Diskussion um den Anspruch auf einen Kita-Platz, wie vielschichtig dieses Thema sein könnte. Ebenfalls findet sich im Arbeitsbereich, allerdings im Vergleich mit der Fülle an Ausstellungsstücken eher marginal, ein kurzer Abriss der Mauer. Hier wollte man offentsichlich mal einen Grenztrabi ausstellen. Am Rande erwähnt, begeben sich die Ausstellungsmacher mit der Nennung von 530 Toten auf recht spekulatives Gebiet.

Im Privatbereich versuchte die Ausstellung, so unterschiedliche Bereiche wie Uniformierung, Wehrdienst, Sowjettruppen, Städtebau (sind die alle privat?), Zuhause, Bohème, Rentner und Opposition unter einen didaktischen Hut zu bringen. Alle diese Themen werden lediglich angerissen. Besonders ärgerlich ist das im Fall der Bohème, die sogar einen eigenen Raum bekommen hat, in dem allerdings willkürlich einzelne Künstler aus den Bereichen Musik und bildende Kunst vorgestellt werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf ausgereisten bzw. ausgebürgerten Künstlern. Der gesamte Filmbereich und die Super-8-Bewegung, um nur 2 Beispiele zu nennen, fallen völlig weg. Das ist um so erstaunlicher, als in dem filmischen Begleitprogramm zur Ausstellung im Zeughauskino sogar eine Veranstaltung mit dem Thema Subversion im DDR-Film geplant ist. Gerade in diesem und auch im ebenfalls fehlenden Literaturbereich hätte man das Spannungsfeld zwischen Anpassung und Widerstand, zwischen in der DDR bleiben und Ausreisen zwischen veröffentlicht werden oder nicht wesentlich stärker herausarbeiten können. Ein Versuch Jugendkultur darzustellen, wurde ebenfalls nicht unternommen. Insgesamt glänzt die Ausstellung durch Abwesenheit von Multimedia-Elementen, was ihr konzeptionell einen eher konservativen Anstrich gibt. Es ist lediglich eine Schüler-Hörführung vorgesehen, die so spannende Fragen wie: Wozu war das Sandmännchen da? beantwortet.

Wenn ich als ehemalige DDR-Bürgerin an den privaten Bereich denke, fällt mir zuerst die zum Teil schlechte Versorgungslage ein. Abgesehen davon, dass ich als Ostberlinerin besser dran war, was ich bei regelmäßigen Familienbesuchen im Harz immer wieder festgestellt habe, werde ich mich immer an die, mir ausgesprochen peinlichen, Besuche zu Weihnachten in der Kaufhalle (lies Supermarkt) erinnern, bei denen meine Mutter "Westparfüm" als Geschenk über den Fleischtresen reichte, damit wir auch im kommenden Jahr Sachen wie Schinken zurückgelegt bekamen. Als Pendant dazu gehörten natürlich Institutionen wie Intershop, Delikat und Exquisit zum Alltag. Von all dem findet sich lediglich eine Exquisit-Tüte ohne Erklärung in einer typischen DDR-Schrankwand. Die gesamte Versorgung, auch die typischen Tauschgeschäfte, werden ausgeblendet.

Ein weiterer Bereich des privaten Alltags fehlt völlig: - der Urlaub. Ja, wir durften nur in wenige Länder reisen, aber das haben wir ausgiebig und zum großen Teil auch ohne SED-Einmischung gemacht. Zur Urlaubskultur gehörte bereits das Ferienlager, in das Kinder ab 8 oder 9 Jahre geschickt wurden. Diese Ferienlager waren oft - für unsere Begriffe - international, weil sie Begegnungen zwischen polnischen, tschechischen und DDR-Kindern ermöglichten. Hier liegt einer der Gründe für eine bis heute anhaltende größere Orientierung zu den östlichen Nachbarländern. Aber die so genannte Nische passte nicht ins Konzept der Ausstellung, denn dann hätte man auch die Datsche erwähnen müssen - sozusagen die Inkarnation der Privatheit in der DDR. Ich erinnere an die sehr gelungene Gartenzäune-Ausstellung, die vor 2 Jahren im Kommunikationsmuseum in Berlin zu betrachten war.

Fazit ist, die Ausstellung ist im Arbeitsbereich teilweise gelungen, hat jedoch im privaten Bereich versagt. Ein Raum war scheinbar noch über, in dem Fotografien von DDR-Bürgern aus den Jahren 1990/ 1992 / 2004 ausgestellt waren und in einem kurzen Text ihr Biographiebruch durch die Wende dargestellt wurde.        

Ausstellung im PEI-Bau des DHM, noch bis zum 29. Juli 2007